
Gesellschaftliche Verantwortung von Migration – was wir voneinander lernen können
Wenn in Deutschland über Migration gesprochen wird, geht es oft um Bürokratie, Fachkräfte und Arbeitsmarktintegration. Doch Migration ist mehr als nur ein Wirtschaftsfaktor.
Sie ist auch eine soziale und menschliche Realität – voller Verantwortung, Fürsorge und Gemeinschaft.
Im Rahmen unserer Arbeit bei ZIVD e.V. – Zentrum für Interkulturelle Verständigung Dresden erleben wir das täglich:
Ob in der sozialen Betreuung vor Ort, im Projekt International Career Harbour, oder in der Direkthilfe im Ausland – es sind oft genau die Menschen, die selbst Fluchterfahrungen gemacht haben oder aus prekären Verhältnissen kommen, die am meisten geben.
Sie zeigen, was gesellschaftliche Verantwortung wirklich bedeutet:
💬 füreinander da sein,
🤝 solidarisch handeln,
🤞 Verantwortung übernehmen – auch ohne Aufforderung.
In diesem Beitrag erzählen wir vier kleine Geschichten. Vier Situationen, die uns gezeigt haben:
👉 Wir haben viel voneinander zu lernen.
Nicht trotz Migration. Sondern gerade durch sie.
Ein kleines Paar – eine große Geste
Während der Corona-Pandemie wurde sichtbar, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind. Doch nicht alle haben Nachbarn, Familie oder Freunde, auf die sie zählen können.
In Freiberg lebt ein älteres Ehepaar. Die Nachbarwohnung wird von einem jungen syrischen Paar bewohnt. Vor der Pandemie kannte man sich kaum – ein höfliches „Hallo“ im Treppenhaus, nicht mehr.
Doch als Corona kam, änderte sich das:
Das syrische Paar bot sofort seine Hilfe an – und ging regelmäßig für die über 80-jährige Dame einkaufen. Ohne große Worte. Ohne große Geste. Einfach, weil es sich für sie richtig anfühlte.
Und auch nach der Pandemie ist es dabei geblieben.
Bis heute gehen sie für sie einkaufen – einfach so.
Das ist gesellschaftliche Verantwortung im Alltag.
Ohne Förderprogramm. Ohne Öffentlichkeit.
Nur Menschlichkeit.
Essen als Zeichen von Respekt und Verbundenheit
Ein Ehrenamtlicher von ZIVD engagiert sich seit Jahren in der Beratung und Begleitung geflüchteter Menschen. Als sein Sohn ins Krankenhaus musste, begleitete ihn seine Frau – und er kümmerte sich in dieser Zeit allein um das zweite Kind zu Hause.
Was dann geschah, hat ihn tief berührt:
Jeden Tag kamen Frauen aus der eritreischen Community, die er zuvor selbst unterstützt hatte, vorbei – mit gekochtem Essen, kleinen Gesten und viel Wärme.
Ganz selbstverständlich, ganz ohne Aufhebens.
„Er war für uns da – jetzt sind wir für ihn da.“
Diese Haltung war spürbar – leise, aber kraftvoll.
Solche Momente zeigen, was in vielen migrantischen Communities oft tief verankert ist: gelebte Solidarität, Mitgefühl und gegenseitige Verantwortung.
Nicht als Ausnahme – sondern als Teil ihres Selbstverständnisses.
Wenig besitzen – und trotzdem helfen
Nach dem verheerenden Erdbeben in Marokko war die Not groß – und die Hilfe kam oft nicht zuerst von außen, sondern aus der Mitte der betroffenen Gesellschaft.
Was wir im Rahmen unserer Direkthilfe erlebt haben, war zutiefst beeindruckend:
Viele Menschen vor Ort, die selbst kaum etwas besitzen, kauften Matratzen, Decken, Lebensmittel – und brachten sie eigenständig in die zerstörten Dörfer.
Manche packten ihre Autos voll mit Hilfsgütern und fuhren los – nicht, weil es von ihnen erwartet wurde, sondern weil es für sie selbstverständlich war.
Diese Solidarität war leise, pragmatisch, herzlich – und oft von Menschen getragen, die selbst Opfer der Katastrophe waren oder unter schwierigen Bedingungen leben.
Es ist ein starkes Zeichen dafür, wie tief das Bewusstsein für Verantwortung füreinander in vielen Gemeinschaften verankert ist – auch ohne Institutionen, Richtlinien oder Spendenkampagnen.
Geflüchtete helfen im Ahrtal – echte Solidarität nach der Flut
Als im Sommer 2021 die Flut das Ahrtal traf, standen viele Menschen in Deutschland unter Schock. Ganze Ortschaften wurden zerstört, Existenzen vernichtet – und die Hilfsbereitschaft im Land war groß.
Aber nicht nur von den „üblichen Stellen“.
Durch unser Netzwerk und persönliche Kontakte kamen auch viele syrische Geflüchtete, die in den Jahren zuvor nach Deutschland gekommen waren, aktiv zur Hilfe.
Sie packten mit an, organisierten Spenden, verteilten Hilfsgüter, halfen beim Wiederaufbau – und taten das nicht für die Kamera, sondern aus Überzeugung.
Ohne sie hätten wir viele Orte nicht so schnell erreichen können.
Ohne sie wäre das Leid größer geblieben.
Dass Menschen, die selbst Schutz gesucht haben, zu Helfenden werden, ist kein Zufall.
Es ist Ausdruck einer Haltung, die geprägt ist von Empathie, Dankbarkeit – und tiefem Verantwortungsgefühl für das Gemeinwohl.
Was sagt das über uns – und über unsere Gesellschaft?
Diese Geschichten haben eines gemeinsam:
Sie erzählen von Menschen, die handeln, bevor jemand fragt.
Von Menschen, die nicht abwarten, bis sie selbst „integriert“ oder „anerkannt“ sind – sondern Verantwortung übernehmen, weil es für sie selbstverständlich ist.
Viele dieser Haltungen begegnen uns in migrantischen Communities immer wieder:
📝 Verantwortung für andere.
👵 Respekt vor dem Alter.
🤝 Fürsorge für Nachbarn – auch wenn man sie kaum kennt.
🍽️ Teilen, auch wenn man selbst wenig hat.
Das sind keine „importierten Werte“. Das sind menschliche Haltungen, die in vielen Teilen der Welt viel stärker gelebt werden, als wir es im westlichen Alltag oft gewohnt sind.
Natürlich: Niemand ist perfekt. Auch unter Migrant:innen gibt es Egoismus, Rückzug, Misstrauen – wie überall.
Aber: Der gesellschaftliche Blick auf Migration blendet oft genau diese Stärken aus.
Vielleicht wäre es an der Zeit, Migration nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Erinnerung zu sehen:
Daran, was Zusammenhalt eigentlich bedeutet.
Und was wir selbst einmal unter „Gesellschaft“ verstanden haben – bevor alles effizient, normiert und distanziert wurde.
Schlusswort: Zuhören. Lernen. Miteinander.
Migration bringt Menschen. Geschichten. Biografien.
Aber sie bringt auch Werte zurück, die in einer individualisierten Gesellschaft oft unter die Räder geraten sind.
Nicht als Gegenmodell – sondern als Ergänzung.
Nicht, um uns etwas zu nehmen – sondern, um uns etwas zu geben, das wir manchmal vergessen haben:
Was es heißt, füreinander da zu sein.
Was es heißt, Verantwortung nicht nur für sich, sondern für andere zu übernehmen.
Und was es heißt, den Menschen neben sich zu sehen – nicht als Bedrohung, sondern als Teil eines gemeinsamen Ganzen.
Wir bei ZIVD e.V. erleben diese Form von gesellschaftlicher Verantwortung durch Migration fast täglich.
Im Stillen. Im Kleinen. Im Menschlichen.
Und wir glauben: Wir können viel voneinander lernen.
Wenn wir bereit sind, zuzuhören.
Und wenn wir den Mut haben, unsere Bilder von „den anderen“ gegen echte Begegnung einzutauschen.
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