
Rassismus im Sprachgebrauch
und was das mit mir zu tun hat, Teil 2
Bei Rassismus und damit auch rassistischer Sprache geht es im Grunde um Macht und die Festigung einer bestimmten gesellschaftlichen Rangordnung. Das hat zunächst noch gar nicht viel mit Hass oder Ignoranz zu tun, sondern vor allem mit ökonomischen oder sozialen Interessen: Die Einteilung von Menschen in verschiedene “Rassen” nach rein äußerlichen Merkmalen wie Hautfarbe, Herkunft, Verhalten, Sprache und so weiter ermöglicht eine Einteilung in “höhere” und “niedere” Typen von Menschen. Das legt den Grundstein für ihre Ausbeutung etwa als Sklaven oder billige Arbeitskräfte. Es geht am Anfang also um Geld und Einfluss. Rassistische Sprache schafft die Rechtfertigung für diese Ausbeutung und bereitet gleichzeitig den Boden für rassistischen Hass, Vorurteile und Misstrauen. An der Geschichte der Sklaverei in den USA und Europa etwa lässt sich gut sehen, wie immer wieder neue philosophische, biologische oder religiöse Gründe dafür erfunden wurden, die die menschenverachtende Behandlung der Männer, Frauen und Kinder rechtfertigen sollten, die aus ihrer Heimat entführt und nach Amerika verschleppt wurden.
Ähnlich erging es den American Natives, den Völkern des asiatischen Raums und generell allen, die nicht der weißen “Norm” entsprachen: Hoch angesehene europäische und amerikanische Philosophen und Wissenschaftler attestierten den Bewohnern der kolonisierten Länder aus mehr oder weniger hanebüchenen Gründen eine minderwertigere Entwicklung im Vergleich zum aufgeklärten, weißen Europa und Nordamerika. Dies führte zu Rassenlehre und der Idee einer “reineren Rasse”, die sich gegen “mindere Rassen” durchsetzen müsse, zu Lynchmorden, Pogromen und in letzter Konsequenz auch zu den Vernichtungslagern der Nazis. Auch der Antisemitismus wurde durch die Idee unterschiedlicher Menschenrassen natürlich pseudowissenschaftlich unterfüttert, wobei man nicht den Fehler begehen sollte, Antisemitismus einfach nur als Variante des Rassismus zu sehen – Antisemitismus geht in seinem Wesenskern weit über Rassismus hinaus. Das soll hier jedoch nicht Thema sein.
Selbst, wenn die Kolonialgeschichte in der Literatur kritisch betrachtet wurde, fand diese Kritik aus der “überlegenen” Position Europas statt. Sogar bei Hannah Arendt finden sich einzelne Passagen, die die Kolonialpolitik zwar kritisieren und dennoch deutlich geprägt sind von kolonialistischen Ideen: „Es ist diese mit ihrer Weltlosigkeit gegebene Unwirklichkeit der Eingeborenenstämme, die zu den furchtbar mörderischen Vernichtungen und zur völligen Gesetzlosigkeit in Afrika verführt hat.“ (Arendt 2017)
Diese kulturell fest verankerte Überheblichkeit prägt unsere Gesellschaft bis heute und wird tagtäglich reproduziert, weil sie für uns so normal und harmlos geworden ist. So spielt auch im Alltagsrassismus immer eine Hierarchisierung von „Rassen“ oder Kulturen hinein. Das geschieht oft ganz unbemerkt. Die weiß/europäisch besetzte „Normalität“ wird einfach vorausgesetzt und gerade dadurch, dass sie nicht hinterfragt wird, wird allen anderen Positionen die Gleichwertigkeit einfach von vorneherein abgesprochen.
Kaum ein anderes Wort in unserem Sprachgebrauch bringt diese unausgesprochene Hierarchie der Kulturen besser zum Ausdruck als das harmlos scheinende Wort
Exotisch
Wörtlich übersetzt heißt „exotisch“ „fremdländisch“ oder „auswärtig“, ist also gar nicht so weit vom Begriff des „Ausländers“ entfernt, mit dem wir uns im letzten Artikel beschäftigt haben. Mit dem Begriff des „exotischen“ werden im alltäglichen Sprachgebrauch allerdings eher positive Assoziationen verbunden. Tatsächlich steckt jedoch eine Menge rassistisches, kolonialistisches Denken in diesem Wort. Wieso? Wenn wir den Begriff des „Exotischen“ im positiven Sinne als „faszinierend fremd(ländisch)“ bis hin zu „magisch“ oder „zauberhaft“ übersetzen, dann erhält er diesen Sinn zunächst einmal nur, wenn wir die eigene Perspektive des weiß-seins als Normalität und allein gültige Norm voraussetzen, dem das „exotische“ als eine Art raffinierte Note beigefügt werden kann, ohne dabei die Norm in irgendeiner Weise in Frage zu stellen. Insofern berührt der Begriff auch die Integrationsdebatte, bei der so gut wie nie in Frage gestellt wird, dass Migrant:innen sich der deutschen (Leit)Kultur (wie auch immer die aussehen mag) anzugleichen haben und die eigene, “exotische” Kultur nur als schmückendes Beiwerk akzeptiert werden kann.
Da dem “Exotischen” also immer etwas unwirkliches, traumartiges oder phantastisches anhaftet, wird die als “exotisch” bezeichnete Kultur zu etwas degradiert, das der Ernsthaftigkeit und kühlen Rationalität des “aufgeklärten” Europa weit unterlegen ist. Das Zitat von Hannah Arendt spiegelt dies auf eindrückliche Art: gerade die kindliche und unwirkliche “Weltlosigkeit” verführt die Kolonialherren zu ihren Grausamkeiten. Die Gewalt wird einerseits zwar kritisiert, aber andererseits wird ein Teil der Verantwortung eben auch bei den als kindlich naiv gesehenen indigenen Völkern verortet. Gleichzeitig begründet die Idee des weltfremden, traumhaften Exotischen das oft bemühte rassistische Klischee vom verträumten, faulen und auf urtümliche Instinkte zurückgeworfenen Eingeborenen, der auf die Hilfe des weißen Mannes angewiesen ist, um Zivilisation und Fortschritt zu erreichen. Was wiederum Kolonialisierung und die damit verbundene Gewalt rechtfertigt. Im englischen wird diese Sicht im Begriff der “white mans burden” treffend zusammengefasst: die Bürde des überlegenen weißen Mannes, der die niederen Völker erziehen und domestizieren muss.
Im Bezug auf Frauen erfährt der Begriff des „exotischen“ noch einmal eine Erweiterung. Die als exotisch bezeichnete Frau erfährt einerseits eine verklärte Erhöhung, eine „Unnahbarkeit“ oder “Göttlichkeit“. Darin steckt aber immer eine Art Aufforderung zur Eroberung, „Zähmung“ und schließlich Unterwerfung. Kommt dann noch eine Umschreibung wie “feurig”, “wild” oder “temperamentvoll” hinzu, wird das rassistische Klischee der sexuell besonders aktiven, promiskuitiven nicht-weißen Frau voll bedient. Hier trifft (wie so oft) Rassismus auf Sexismus. Und da das “Exotische” immer Teil einer Art unwirklichen Parallelwelt ist, sind (sexuelle) Gewalt und Ausbeutung auch nicht nach den gleichen rechtlichen oder moralischen Maßstäben zu bewerten wie in der aufgeklärten Gesellschaft. So schafft rassistische Sprache unter der Oberfläche des Bewusstseins die Voraussetzungen für rassistische Gewalt.